Als wir später nach Hause kamen und die Tür öffneten, kam uns nur die Schäferhündin entgegen. Im Flur und der Küche bot sich uns ein Bild wie im Schlachthaus. Das Blut war an den Wänden etwa 1,5 Meter hoch gespritzt. Tinchen, die Dackelhündin meiner Mutter lag im Flur seitlich auf dem Boden und rührte sich nicht. Als ich sie umdrehte, merkte ich, dass sie tot war und ein Teil ihres Halses fehlte. Die einzige Erklärung war, dass Alma diesen Teil gefressen hatte. Meine Dackelhündin war in der Ecke der Küche in ihrem Körbchen aus Weidengeflecht, der wie eine Höhle geformt war. Sie kam erst heraus, als ich sie lockte.
Wir waren völlig entsetzt. Die Schäferhündin benahm sich, als sei nichts geschehen. Ich konnte mir nicht erklären, was geschehen war und wie wir nun reagieren sollten. Konnten wir diesen Hund behalten, wäre er jetzt auch für andere Hunde gefährlich, für uns, für fremde Menschen?
Hundeschulen gab es damals noch nicht. Um Rat bemüht, rief ich einige Leute an, die Schäferhunde trainierten. Einige sagten zu mir sinngemäß „Der Hund ist versaut, der muss weg“ und die anderen sagten „Das kann schon mal passieren“. Wir waren ratlos und saßen die ganze Nacht zusammen und überlegten, was zu tun sei.
Am nächsten Morgen rief ich Dr. Wewer an, derzeit der einzige Tierarzt in Cloppenburg, er sollte zu uns kommen und die Schäferhündin einschläfern. Er kam am Nachmittag, stellte ebenfalls fest, dass Alma sich völlig unauffällig verhielt und schlug vor, sie an die Hundeführer-Staffel zu vermitteln, die zu der Zeit auf dem Varrelbuscher Flugplatz stationiert war. Er wusste, dass dort ein Hund fehlte. So geschah es.
Am nächsten Tag kam ein Mann, um Alma abzuholen. Er schien der Sache nicht ganz zu trauen und bat mich, sie in den Kofferraum seines Wagens zu sperren. Ich ließ sie hinein springen und schloss schweren Herzens die Klappe. Nie werde ich den fragenden Blick aus ihren Augen vergessen.
Jenny, die kleine Dackelhündin, begleitete mich noch über zehn weitere Jahre, und als ich dann wieder einen Hund haben wollte, sollte es ein größerer sein. Aber eines war mir klar: Auf keinen Fall durfte noch einmal so etwas passieren, wie damals mit Alma und Tinchen.
Und so begann ich, alles über Hunde zu lesen, was mir in die Finger kam. Ich suchte Hundetrainer auf, die mir als gut empfohlen waren und erzählte ihnen die Geschichte. Ich habe viel über Hunde gelernt, aber die Lösung, warum das geschehen war, ließ noch lange auf sich warten.
Da ich nicht aufgehört hatte, über Hunde zu lernen, kamen nach und nach Leute zu mir, die mich baten, Ihnen mit ihren Hunden zu helfen. Erst gründeten mein Mann und ich die Cloppenburger Hundefreunde, fünf Jahre später eröffnete ich die erste Hundeschule in Cloppenburg und der Umgebung.
Wenn heute Menschen zu mir kommen, die meinen, genug Hunde-Wissen zu besitzen, weil sie mit Hunden aufgewachsen sind, sage ich Ihnen immer: „Ich bin auch mit vielen Hunden aufgewachsen, aber da meine Eltern keine Ahnung von Hunden hatten, haben sie mir auch nichts über Hunde vermitteln können. Nur mit Hunden zu leben, heißt nicht automatisch sie zu verstehen.“
Nun fragen Sie sich vielleicht, was denn nun der Grund war, dass Alma einen Hund getötet hat, mit dem sie sogar zusammen lebte.
Nun, das war wohl eine Kombination von Ursachen:
Alma war als Schäferhündin ein Arbeitshund, war aber im Haushalt meiner Mutter chronisch unterfordert. Sie hatte, genau genommen, gar keine Aufgabe. Auch Unterforderung stresst Hunde, erst recht Hunde, die zum Arbeiten gezüchtet werden.
Als Bällchen-Junkie war sie süchtig nach den Hormonausschüttungen beim Nachjagen (Werfen) der (Ersatz-)Beute. Diese Hormone wirken wie Opiate und es entsteht tatsächlich eine Sucht. Die Hunde sind nur noch fixiert auf die Beute. Die jagdlichen Muster, die zur Ausschüttung der körpereigenen Opiate führten, waren tausendfach trainiert worden. Bleibt diese Ausschüttung aus, weil niemand einen Gegenstand wirft, leidet der Hund unter „Entzug“, genauso, wie ein süchtiger Mensch, der keinen „Stoff“ bekommt.
Tinchen, die Dackelhündin, hatte – von der Größe her – Beutecharakter. Kleinhunde können leicht von größeren Hunden mit Beute verwechselt werden und im Beuteverhalten wird gehetzt, gepackt, getötet und gefressen und das hat überhaupt nichts mit Aggression zu tun. Es ist einfach die logische und natürliche Abfolge, wenn ein Wolf oder Hund jagt.
Mit Schäferhunden aus dem SV (Verein für Deutsche Schäferhunde) darf nur gezüchtet werden, wenn die zukünftigen Hundeeltern Schutzdienst-Prüfungen abgelegt haben. Der Schutzdienst wird den Hunden über Spiel- und Beuteverhalten beigebracht.
Wir hatten also einen unterforderten Arbeitshund, der schon eine durch Zucht geförderte Beutepassion mitbrachte und den wir aus Unwissenheit und Bequemlichkeit zum Bällchenjunkie gemacht hatten. An dem Nachmittag waren die Hunde länger eingesperrt und die Schäferhündin war somit „auf Entzug“. Bei dem kurzen Aufenthalt im Garten zwischendrin, hatten die Hunde ein kleines Stöckchen mit ins Haus gebracht. Ob Tinchen sich dieses Stöckchen „geschnappt“ hatte und damit weggelaufen ist, oder es einfach sie selbst war, die für die Schäferhündin zur Beute wurde, kann ich heute nicht sagen. Aber wahrscheinlich hat alles zusammen dazu beigetragen, das Unglück auszulösen.
Es hat einen Hund das Leben gekostet, das Leben eines zweiten Hundes völlig verändert und dazu geführt, dass ich heute Hundetrainerin bin.
Und als Hundetrainerin rate ich Ihnen: Lernen Sie Hunde zu verstehen!